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Ein Massenvorkommen von Ostearius melanopygius im UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau

Sogenannte aggregative Spinnennetze wie das hier gezeigte werden von Tausenden von Spinnen hergestellt. Ihre Entstehung ist vermutlich zufällig und nicht an einen bestimmten Zweck wie dem Beutefang gebunden. Es wird angenommen, dass sie die Folge einer Umsiedlung einer großen Spinnenpopulation über Fadenflug sind (aeronautische Verbreitung, sog. „Ballooning“). Hierbei begeben sich die Spinnen auf höher gelegene Stellen um einen vorteilhaften Ausgangspunkt für ihren Abflug zu haben, strecken ihren Hinterleib in die Luft und produzieren einen elastischen, etwa 1/1000 bis 1/100 mm dicken Flugfaden. Der bis zu mehrere Meter lange Faden wird von Luftwirbeln verdreht, wodurch die aerodynamischen Eigenschaften derart beeinflusst werden, dass der Faden wie ein Segel wirkt und die Spinne in einen neuen Lebensraum transportieren kann. Sie können dabei mehrere Tausend Meter Höhe erreichen und Distanzen von mehreren Hundert Kilometer zurücklegen, wobei Höhe und Flugdauer durch die Länge und Form des Flugfadens beeinflusst wird. Auf diese Weise können Spinnen zum Beispiel auch entlegene Meeresinseln erreichen. Der beim Erklettern der Abflugpunkte erzeugte Sicherheitsfaden jeder einzelnen Spinne bildet die Grundsubstanz des Großflächennetzes, dessen Dichte an den höchsten Stellen zunimmt.
Die nachfolgend vorgestellten Aufnahmen des sich über eine Fläche von etwa 30 x 10 m ausbreitenden, dreidimensionalen Gespinstteppichs wurden zunächst nicht zum Zweck der naturwissenschaftlichen Dokumentation angefertigt, sondern wegen des (foto)grafisch beeindruckenden Gebildes, dessen Form oft an kuppelartige, durch dicke Fadenstränge miteinander verbundene Zirkuszelte erinnert. Infolge dessen fehlen gezielte Makroaufnahmen der Baldachinspinne Ostearius melanopygius (O.P.-Cambridge, 1879), die dieses Netz maßgeblich erzeugte (andere Arten können beteiligt sein, wurden hier aber nicht gesichtet), die wenigen vorhandenen Spinnenfotos sind eher zufällig entstanden. Die einigermaßen überschaubare Individuenzahl läßt darüber hinaus vermuten, dass die meisten Spinnen den Ort zu diesem Zeitpunkt bereits im Fluge verlassen hatten.
Gesichtet wurde das nur rund 10 m von einem Feldwirtschaftsweg und nur etwa 70 m vom dem bekannten historischen Wegekreuz am Brudermannsfeld entfernt gelegene Netz von Christel Bernard am Vortag der ersten Aufnahmeserie. Zum Auffindezeitpunkt am Spätnachmittag des 22.11.2011 wurde leider kein Fotoapparat mitgeführt. Als die Aufnahmen angefertigt wurden, hatte der Umfang des Netzes gegenüber dem Vortag um geschätzte 20 bis 30 % zugenommen. Entstanden ist es auf einem schon längere Zeit dort abgelagerten und gelegentlich erweiterten, vornehmlich aus einem Gemisch aus Stroh und Schafsdung (Stallmist) bestehenden Misthaufen. Auf der an den Haufen im Süden und Südwesten unmittelbar angrenzenden Magerwiese waren in den Wochen vorher Schafe zum Weiden abgestellt worden. Das Wetter zum Zeitpunkt der ersten Aufnahmeserie war, wie bereits in den vorhergehenden Wochen, trocken, sonnig und für den Spätherbst vor allem tagsüber relativ warm (17°C), jedoch mit allmählich einsetzenden Nachtfrösten. Zum Zeitpunkt der zweiten, kürzeren Aufnahmeserie zwei Tage später war es tagsüber neblig und deutlich kälter (-1°C), das Netz war kollabiert, die wenigen auf dem Haufen verbliebenen Spinnenexemplare offenbar erfroren. In den Folgetagen wurde es tagsüber wieder wärmer (bis 15,5 °C) und sonniger, weitere Aktivitäten von Spinnen waren jedoch nicht zu erkennen (29.11.2011).

Aufnahmedatum: 23. und 25. November 2011.
Ort: Flurstück "Auf Brudermannsfeld", auf einer Anhöhe westlich des Ortes Bebelsheim, Gem. Mandelbachtal, Saarpfalz-Kreis, Deutschland.

Literatur:
- Peter Jäger, Aggregative Spinnennetze - weitere Funde in Deutschland und ihre mögliche Erklärung, in: Arachnologische Mitteilungen 23, Basel 2002, S. 33-44. URL: [http://www.senckenberg.de/files/content/forschung/abteilung/terrzool/arachnologie/aggregative_spinnenetze_jager_2002.pdf] (Abruf 28.11.2011)
- Christian Komposch und Ingolf Natmessnig, Ein Massenauftreten der Zwergspinne Troxochrus nasutus in Kärnten, Carinthia II 191./111. Jahrgang M, Klagenfurt 2001, S. 497-516. URL: [http://www.landesmuseum.at/pdf_frei_remote/CAR_191_111_0497-0516.pdf] (Abruf 28.11.2011)
- Peter Sacher, Ein Massenvorkommen der Baldachinnetzspinne Ostearius melanopygius (O.P.-Cambridge) in Ostthüringen (Araneae: Linyphiidae, Donacochareae), Veröff. Mus. Gera, Naturw. 6, Gera 1978, S. 53-63.
- Andy Reynolds et al. (Rothamsted Research, Biotechnology and Biological Sciences Research Council), The answer is blowing in the wind, BBSRC Business, Swindon, July 2006, S. 14. URL: [http://www.bbsrc.ac.uk/web/FILES/Publications/0607_business.pdf] (Abruf 29.11.2011)
- Andy M. Reynolds, David A. Bohan & James R. Bell, Ballooning dispersal in arthropod taxa: conditions at take-off, Biology Letters 3, 2007, S. 237-240. URL: [http://rsbl.royalsocietypublishing.org/content/3/3/237.full.pdf] (Abruf 29.11.2011)

Jan Selmer, November 2011.




Fotos: © Jan Selmer